Zwischenwelt

… In meiner Jeans, meinem weißen Hemd und mit einer Krawatte, es ist die schwarze schmale Lederkrawatte, mache ich mich auf den Weg zum Friedhof, ich bin so unglaublich müde und froh, als ich endlich das Grab von Emily erreiche.

          „Ich bin hier, meine geliebte Emily“, flüstere ich, bevor ich mich vor dem Grab niederlasse und meine Augen schließe.

Ich lege mich mit dem Oberkörper auf ihr Grab und schlafe ein, diesmal glücklich und entspannt, denn ich spüre, dass mein Weg mich heute zu meiner Liebe zurückbringt.

Es dauert auch gar nicht lange und ich merke, dass ich aufstehe, aber trotzdem kann ich meinen Körper immer noch liegen sehen. Ich blicke auf mich herab, ohne Angst und Zögern, ich lächle sogar, bevor ich mich erwartungsvoll umsehe.

Ich suche das Licht, das unglaublich helle Licht, dem ich entgegeneilen will.

Doch ich finde mich plötzlich in einem Gang, es ist düster hier.

Fieberhaft überlege ich mir, nein, ich war kein schlechter Mensch. Vielleicht manchmal mürrisch und oft ungeduldig. Ja, ich gebe zu, auch manchmal unfreundlich und unbeherrscht, aber ich habe mir nichts zu Schulden kommen lassen, war immer ehrlich, aufrichtig und habe versucht, mein Bestes zu geben.

          „Wo ist also dieses verdammte Licht?“, frage ich lauter, als mir lieb ist und denke sofort, dass Fluchen vielleicht doch nicht so angebracht ist.

Immer weiter gehe ich, es scheint ein endloser düsterer Gang zu sein.

Etwas verunsichert drehe ich mich um und blicke zurück, doch ich kann weder meinen Körper noch den Friedhof sehen.

          „Verflixt und zugenäht, Emily, wo bist du?“, rufe ich nun während ich zu laufen beginne. Erleichtert merke ich, dass links und rechts plötzlich Türen zu sehen sind, manche sind offen. Es sind Büros, doch ich kann niemanden darinnen finden.

Ich verlangsame meinen Schritt, doch trotzdem, nun werde ich ungeduldig:

          „Emily!“, brülle ich jetzt schon.

„Matt, du brauchst nicht so zu schreien, ich bin ja hier“, ertönt endlich Emilys Stimme, bevor sie aus einem der Büros schreitet.

Ich laufe ihr entgegen, umarme sie und drücke sie fest an mich.

          „Emily!“, stöhne ich erleichtert auf, „meine Emily!“, bevor ich mich zu ihr beuge und sie anfange zärtlich zu küssen. Ihre Lippen sind warm, wie sie es immer waren und als sie diese öffnet, treffen sich unsere Zungen. Ich schließe meine Augen und genieße ihre Nähe, ihren Geschmack und ihren Duft.

Als ich sie wieder frei gebe, höre ich ihre vorwurfsvolle Stimme:

          „Wo warst du denn so lange, mein Liebling, ich habe auf dich gewartet.“

Schuldbewusst hebe ich die Schultern.

          „Weißt du, mein Schatz, ich habe eine Frau kennengelernt, eine junge Frau, keine Angst ich bin dir nicht untreu geworden“, füge ich schnell hinzu bevor ich angeregt weiterspreche: „Ihr Name ist Mindy, sie hat sich so liebevoll um mich gekümmert. Aber letztlich war die Sehnsucht nach dir doch viel größer, deshalb hat es länger gedauert.“

          „Ach, Matt, du Dummerchen, ich weiß, ich habe Mindy doch geschickt, aber du hättest sie Lionel vorstellen sollen. Sie war für unseren Sohn gedacht und nicht für dich“.

Ich blicke ungläubig auf Emily:

          „Wie war das bitte?“, frage ich nach.

Meine Emily ergreift meine Hand und schickt sich an, den Gang weiter zu gehen, doch ich halte sie zurück:

          „Und überhaupt, wo ist denn nun dieses Licht?“

Emily lächelt mich an:

          „Wir sind noch nicht soweit, Matt, ich habe um Aufschub gebeten, denn ich will, dass Joshua und Lionel versorgt sind.“

          „Die sind bestens versorgt, mein Schatz.“

„Nein, ich meinte, ich möchte dass die beiden eine Familie gründen und nicht nur in ihrer Arbeit versinken.“

Verwirrt blicke ich meine große Liebe an:

          „Man kann hier so leicht um Aufschub bitten? Und was heißt das für uns? Sind wir nun tot, oder nicht?“

        „Sind wir Matt, ja, aber wir befinden uns in einem Zwischenweg, wir dürfen hier noch etwas verweilen, um uns um unsere beiden Söhne zu kümmern. Wenn wir alles erledigt haben, wird uns der Weg zum Licht frei sein.“

Ungläubig sehe ich mich um, ich bin verunsichert, das ist wieder typisch für Emily. Sie ist eine sich sorgende und liebevolle Mutter. Natürlich füge ich mich den Wünschen meiner Emily, habe ich doch immer gemacht, warum sollte ich das nun ändern? Mein Vertrauen in meine Frau ist grenzenlos, so tief ist meine Liebe zu ihr.

          „Komm, wir müssen zu Mr. Sanders, der organisiert hier alles“, teilt mir Emily mit und zerrt mich weiter.

Mr. Sanders ist ein freundlicher, alter Mann mit weißem Haar, der sich geduldig Emilys Sorgen und Bitten anhört und dann ein Formular aus einer Schublade zieht.

Ich lächle und stelle fest, dass es auch hier nicht ganz ohne Papierkram geht.

Die Daten sind bereits alle ausgefüllt, wo der Mann diese her hat, weiß ich nicht, aber es scheint hier oben alles bekannt zu sein. Er verlangt eine Unterschrift, von uns beiden, und ganz entgegen meiner Gewohnheit einen Vertrag mehrmals durchzulesen, unterschreibe ich schnell.

Uns wird eine Loge zugeteilt, in der wir Aussicht auf unsere Lieben bekommen.

Dann drückt uns Mr. Sanders noch ein Handbuch in die Hand und meint augenzwinkernd:

          „Es ist ganz einfach, es gibt einige Möglichkeiten von hier aus nachzuhelfen.“

 

Dann sind wir entlassen und begeben uns händehaltend und erwartungsvoll in unsere Loge…