Showdown am Clogher Strand

aus der Anthologie IRISH CRIME - Brighton Verlag

... Mit einem lauten Knall flog die Tür auf und Kriminalkommissar Wolfgang Braxmaier fuhr erschrocken hoch.

„Hey, Wolfgang! Deine Schwester will, dass du zurückrufst!“, hallten die Worte von Inspektor Gerhard Weiß in das Büro. Bevor Braxmaier antworten konnte, fiel die Tür hinter dem Inspektor wieder ins Schloss.

Verblüfft hob der Kommissar die Augenbrauen. Das Verhalten seines Kollegen war wie für gewöhnlich hastig und knapp. Er hatte bereits ellenlange Diskussionen hinter sich, um dem jungen Mann ein wenig Professionalität beizubringen. Anscheinend hatten seine Gespräche noch nicht gefruchtet. Er seufzte. So war der junge Beamte eben.

Seine Füße waren schnell am Schreibtisch gelegt, während das Bild seiner Schwester vor seinen Augen auftauchte. Seine kleine Schwester, Marianne, auf die er, so hatte er seiner Mutter versprochen, stets aufpassen wollte.

Was sich übrigens bereits mehr als notwendig erwiesen hatte. Nichts wollte er nämlich lieber, als sie glücklich zu sehen. Aber als sie ihm ihren Freund Peter Kutscher vorstellte, witterte er spätestens eine Minute danach Unheil. Der Mann war definitiv nicht gut für sie. Er zeigte sich vielmehr als angeberisch und überheblich.

Obwohl er mit Marianne darüber gesprochen hatte, sah sie die Charakterzüge ihres Freundes weder schlimm noch verhängnisvoll. Sie hatte vielmehr die rosarote Brille des Verliebtseins aufgehabt, weshalb seine Warnungen im Wind verpufften. Dass er seine Kontakte zu Kollegen nutzte, um ihn zu überprüfen, das verschwieg er seiner Schwester bis jetzt gekonnt. Dennoch war Kutscher niemals straffällig geworden. Nicht einmal eine Strafe für falsches Parken lag gegen ihm vor.

Es dauerte jedoch nicht lange, bis Marianne bemerkte, wie schwierig es war, mit Peters Charakterzüge klarzukommen. Die anfänglich rosafarbene Verliebtheit wich einer Normalität, die sich weder bunt noch angenehm zeigte. Peter war vielmehr herrschsüchtig und bestimmend, betrachtete Marianne als sein Eigentum und ließ keine Gelegenheit aus, um zu erwähnen, wie wenig ihre Meinung zählte. Frauen gehörten, so stellte er wiederholt fest, hinter den Küchenherd und sollten für den Mann sorgen. Er schlug ihr deshalb sogar vor, ihren Job als Buchhalterin zu kündigen, denn er verdiente gut genug für beide. Was er sich nicht alles für Erklärungen einfallen ließ, um ihr diesen Schritt schmackhaft zu machen.

Braxmaier schüttete seinen Kopf.

Wie gut, dass ihn Marianne eingeweiht hatte. Eindringlich hatte er seine Schwester aufgeklärt, dass sich Peter wie ein typischer Narzisst verhielt. Er ließ dabei nicht unerwähnt, wie aussichtslos dessen Bereitschaft zur Änderung sei. Das hatte sie in ihrer Entscheidung bestärkt, den Job nicht aufzugeben. Als Peter dennoch um Mariannes Hand angehalten hatte, erbat sie sich Bedenkzeit. Händeringend hatte Braxmaier versucht, sie davon abzuhalten. Er wusste zwar nicht, was genau vorgefallen war oder welches Ereignis ihr die Entscheidung leicht gemacht hatte, aber sie lehnte schließlich eine Heirat ab und verließ Peter.

Der Kommissar seufzte abermals.

Tage und Wochen vergingen, in denen seine Schwester unglücklich war. Vor allem ließ ihr Peter kaum Ruhe, sich zu sammeln, denn er wollte ganz und gar nicht aufgeben. Er war buchstäblich zum Stalker geworden und machte Marianne das Leben schlichtweg zur Hölle.

Komischerweise zerbrach seine Schwester daran nicht, sondern entwickelte eine Stärke, die er niemals für möglich gehalten hatte.

Wie lange war es nun her? Braxmaier konnte sich nicht an das genaue Datum erinnern, aber Marianne entschloss sich, Österreich den Rücken zu kehren. Sie hatte alles gut durchdacht und ausreichende Vorbereitungen getroffen. Sie wollte nach Irland auswandern. Verblüfft war er außerstande gewesen, sie davon abzuhalten.

 

Dort lebte Marianne inzwischen in einem kleinen Ort namens Clogher. Zwar war sie erst nach Waymont gezogen, sehnte sich aber nach mehr Abgeschiedenheit. Sie konnte einige Firmen für sich gewinnen, für die sie nun die Buchhaltung übernommen hatte. Das ließ sich meistens im Homeoffice leicht bewerkstelligen und es brachte ihr ausreichend finanzielle Sicherheit.

Braxmaier verstand nicht, warum seine Schwester in einem derart kleinen Ort leben wollte. Rings umher war bloß Natur. Aber Marianne wusste sehr genau, was sie wollte. Vergessen - das war eines, Abgeschiedenheit zwingend notwendig und Natur um sich gab ihr die notwendige Ruhe und Distanz zum einstigen Leben mit Peter.

Schuldbewusst hob der Kommissar jetzt seine Schultern. Er war bisher nur einmal in Clogher gewesen. Damals, als sie in das kleine Häuschen umzog. Versprochen hatte er einen baldigen Besuch, aber niemals hatte sich dazu Zeit gefunden.

Er lebte, das war ihm schon lange klar geworden, für seinen Beruf. Polizist zu sein, war sein Wunsch seit Kindertagen gewesen, den er sich erfüllt hatte und dem er voller Stolz und Rechtschaffenheit nachging.

Vor einem Monat war er einer Abteilung der Cyber-Kriminalität beigetreten. Als Kommissar der Mordkommission in der Landespolizeidirektion Burgenland hatte er zwar genügend Arbeit, aber dennoch dürstete ihm nach neuen Aufgaben. Die zusätzliche Ausbildung war schließlich wichtiger als ein Besuch bei Marianne gewesen.

Er würde sie anrufen, gleich nach Dienstschluss. Seine Beine rutschten vom Schreibtisch, als er in die Gegenwart zurück gelangte.

Schnell war die Computermaus bewegt. Der Bildschirm flimmerte hell und warf Schatten auf die sonst kahlen Wände des Büros.

Mit einem krachenden Poltern flog die Tür zu seinem Dienstraum nun auf und Inspektor Weiß blickte abermals herein.

„Wolfgang, es tut mir leid, das habe ich ganz vergessen. Deine Schwester meinte, es wäre SOS!“ Schon fiel die Tür zurück in den Rahmen.

 

Wie von der Tarantel gestochen fuhr Braxmaier hoch.

SOS, das Zeichen, dass es mehr als dringend war. Er rollte mit den Augen, während er über die lasche Art des Inspektors murrte. Zeitgleich griff er zum Handy.

Es dauerte kaum einige Sekunden, bis sich Marianne meldete.

„Hallo, Wolfgang, das hat ja lange gedauert.“ Schwang etwa Vorwurf in ihrer Stimme? Braxmaier verzog seine Lippen. Er hatte ja sofort nach dem SOS-Ruf reagiert.

„Was ist denn los, meine Liebe?“

Mariannes Stimme zitterte.

„Er ist tot!“

„Wer?“

„Na er!“

Marianne schnaubte wütend.

„Peter ist tot!“

Braxmaier schwieg, obwohl er innerlich jubilierte. Der Ex-Freund hatte die Trennung lange nicht akzeptiert und seine Schwester aus Österreich vertrieben. Sofort stieg die Hoffnung in ihm, sie bald wieder in der Nähe zu haben.

„Wolfgang, ich brauche dich. Kannst du nicht kommen?“

Er sollte kommen? Entsetzt realisierte er, dass Marianne anscheinend keine Absicht hatte zurückzukehren.

„Schwesterherz, ich bin eben in einer Gruppe Cyber-Kriminalisten aufgenommen worden. Ich sitze hier fest.“

„Nein, du verstehst nicht“, hauchte Marianne. „Peter ist ermordet worden.“

 

Eine gespannte Stille entstand, die sie sogleich wieder unterbrach. „Und zwar auf meinem Grundstück.“

...