Freier Fall

… Ich genieße die Sicht, wenn aus dem schier unendlichen Raum plötzlich ein Flugzeug am Zenit auftaucht. Das langsame Herangleiten und der sichtbare Höhenschwund sowie das gleichmäßige anwachsen von Größe der Verkehrsmittel gefallen mir.

Die Kontinuität der Abläufe beruhigt mich. Meine innere Unruhe schwindet und ich fühle mich beinahe wieder frei und unbeschwert.

Bei meinem ersten Flug hingegen, fühlte ich mich so gar nicht frei und unbeschwert. Mir läuft es noch immer kalt über den Rücken, als dieser Flug in meinen Erinnerungen wieder auflebt.

Ich hatte einen Studienkollegen, er hatte gerade den Pilotenschein gemacht, als er mich zu einem Rundflug einlud. Die Maschine war klein, es war nur Platz für den Piloten und drei weitere Personen. Damals war ich noch abenteuerlustig und sagte nichtsahnend zu. Anfangs war auch alles noch unglaublich schön. Das Bild von oben faszinierte mich und begeistert machte ich ein Foto nach dem anderen.

Das „Oh, Oh!“, meines Piloten fiel mir erst gar nicht auf, doch als ein Luftloch uns durchschüttelte sah ich die Regenfront, der wir uns rasant näherten.

„Keine Angst, ist nur ein Gewitter”, klärte mich mein Kollege auf. „Der Flug wird aber ein wenig holprig werden.“

Kaum hatte er diese Warnung ausgesprochen, spürten wir die Kraft des Windes und des Gewitters. Obwohl das Szenario einzigartig war, konnte ich kein einziges Foto mehr schießen.

Stattdessen begann ich zu beten.

Das Flugzeug schaukelte nach links, dann wieder nach rechts. Die Flügel senkten sich oder stiegen zum grauverhangenen Himmel. Bei jeder Böe, die uns manchmal schnell absacken ließ, schluckte ich aufkeimende Angst und Übelkeit hinunter. Ich glaube, wir durchflogen wahrscheinlich jedes nur mögliche Luftloch. Doch mein Kollege hatte sichtlich Spaß darin, diese Achterbahnfahrt zu bewältigen. Der Regen

prasselte laut auf die Scheiben und ich hoffte im Stillen, dass die Scheiben diesem Druck standhalten würden. Bald hatte ich wirklich Angst und ich konnte es nicht erwarten, bis wir diese Wolkenwand endlich durchflogen hatten. Natürlich brachte mich mein Kollege durchs Gewitter und wieder auf sicheren Boden zurück, aber ich hatte erstmals die Nase vom Fliegen gestrichen voll. Nur kurze Zeit später lernte ich Emily kennen. Meine Reaktion auf einen gemeinsamen Rundflug, den sie mit mir unternehmen wollte, war zurückhaltend. Ich lehnte dankend ab, versicherte aber im ersten gemeinsamen Urlaub wegzufliegen. Da würde das Flugzeug wenigstens größer sein – meine Angst ebenso. Emily hat weder von meinem Flugdebüt noch von meiner Flugangst je etwas erfahren, diese Tatsache behielt ich das gesamte Leben für mich. Nicht einmal bei unserem Urlaub im Grand Canyon und dem Rundflug durch das Bergmassiv, der gottlob ohne besondere Vorkommnisse vorüberging, erzählte ich Emily von meinem getrübten Verhältnis zur Fliegerei. Kein Wunder also,

dass ich der Urlaubsfahrt im Auto meistens den Vorzug gab.

Emily blickt selig den Blechvögeln hinterher.

Sie liebte es zu fliegen und hat sich oft beschwert, dass wir das Auto zur Wegbewältigung wählten.

Nur kurz überlege ich, ob ich sie in mein kleines Geheimnis einweihen

soll.

 

So sehr ich mich beruhigt hatte, keimt plötzlich erneut eine so vehemente Unruhe in mir, dass ich erschrocken zu Emily blicke. Auch sie spürt etwas, denn ihr Gesicht wirkt blass und angespannt.

„Ich kann es nicht erklären, aber irgendwie fühle ich Gefahr.“

Ich schüttle ungläubig den Kopf. Trotzdem pflichtet mir Emily bei. Keine Ahnung, wieso meine Gefühle so umgeschlagen sind. Noch immer nähern sich die silbernen Vögel und das Meer wirkt ruhig wie zu Beginn unseres Besuches. Es befindet sich kein einziges Wölkchen mehr am Himmel und alles wirkt friedlich. Als ich am Zenit das nächste Flugzeug die Landebahn anfliegen sehe, krampft sich in mir alles zusammen. Emily stöhnt erschrocken auf.

„Matt, da ist was im Gange. Ich kann nicht sagen, was es ist, aber da stimmt etwas nicht.“

„Geht mir genauso mein Schatz. Ich glaube das hat etwas mit dem Flugzeug zu tun.“

Wir stehen Hand in Hand und blicken nach oben. Der große Vogel kommt kontinuierlich näher. Er fliegt gleichmäßig gleitend und ruhig.

Nun fühle ich aufkeimende Übelkeit. Als meine Ohren ein komisch knarzendes Geräusch vernehmen, senkt sich nur Sekunden später die Maschine mit der Nase senkrecht gegen Erde und noch bevor ich richtig erfassen kann, was hier überhaupt

passiert, prallt es zwischen Meer und Strand auf. Das Flugzeug zerschellt in tausend Stücke und der Feuerball, der durch das sich entzündende Kerosin entsteht, reicht weit in den Himmel hinauf.

„Oh mein Gott! Neeeeeein!“, schreit Emily auf.

Wir laufen zurück auf die Terrasse, biegen ins Dickicht des Strandes ein und kämpfen uns durch die feuchte Erde zum Flugplatz. Eigentlich sieht es gar nicht so weit aus, doch ich bin schon bald außer Atem. Emily behält wieder die Übersicht, greift sich den Stein und nur Sekunden später landen wir auf der Unglücksstelle des Flughafens.

 

Es ist die Rollbahn B4/22R …